Was ist eine Rote Liste?

Rote Listen geben Auskunft darüber, ob Arten in ihrem Bestand gefährdet sind. Damit stellen sie ein Instrument für den Naturschutz und die Landschaftsplanung dar, um Artenvorkommen und damit auch Biotope bewerten zu können. Dies dient zur Grundlage von Biotop- und Artenschutzmaßnahmen.

Warum Hamburg?

Für die umliegenden Bundesländer sowie für zahlreiche weitere Bundesländer in Deutschland liegen Rote Listen vor. Für Hamburg jedoch fehlt eine systematische Bestandsaufnahme und Rote Liste der Wildbienen. Daten aus den benachbarten Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind für die Bewertung von Wildbienenvorkommen in Hamburg nur bedingt verwendbar, weil die Artenzusammensetzung der städtischen Habitate Hamburgs stark von der Wildbienenfauna der benachbarten Flächenstaaten abweicht.

Die Deutsche Wildtier Stiftung arbeitet daher an der Erstellung der ersten Roten Liste der Wildbienen und Wespen von Hamburg, die künftig helfen wird, die Vielfalt und den Zustand der Wildbienen- und Wespenpopulationen in Hamburg zu dokumentieren und zu bewerten.

Das Projekt wurde 2016 ins Leben gerufen und wird von Wildbienenexperte Dr. Christian Schmid-Egger geleitet. Bis 2020 wurden jährlich mehrere Kartierungen vorgenommen, von 2021 bis 2023 die Daten ausgewertet. Die Veröffentlichung der Roten Liste ist für 2024 geplant.

Übersicht der bisher begangenen Untersuchungsflächen

Warum Wildbienen?

Die Wildbienen sind eine wichtige Zeiger- und Zielgruppe für landschaftsökologische Bewertungen, Eingriffsplanungen und andere naturschutzfachliche Fragestellungen. Dafür sind sie aus folgenden Gründen besonders geeignet:

Wildbienen besitzen sehr plastische und gut beschreibbare Ansprüche an ihren Lebensraum. Ihre Larven versorgen sie mit Nektar und Pollen von blühenden Pflanzen und sind hierbei teilweise in der Wahl ihrer Nahrungspflanzen hoch spezialisiert. Sie werden auch als oligolektische Arten bezeichnet. Arten, die bei der Wahl der Nahrungspflanzen nicht spezialisiert sind (z. B. die Honigbiene oder viele Hummelarten), nennt man polylektische Arten.

Auch hinsichtlich ihres Nisthabitats sind Wildbienen sehr wählerisch. Manche Arten nisten in der Erde (endogäisch), andere oberirdisch (hypergäisch) in Alt- oder Totholz, in abgestorbenen Pflanzenstängeln etc. Diese hohen Ansprüche machen die Bienen sehr wertvoll, um auch kurzfristige Änderungen in der Landschaft darzustellen. Wird ihr Vorkommen erfasst und dokumentiert, können bei landschaftsökologischen Bewertungen, Eingriffsplanungen und Naturschutz-Fragen die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Wildbienen sind gut erforscht. Die Ökologie und Verbreitung der Arten in Deutschland ist in der Literatur sehr gut dokumentiert. In der Landschaftsplanung besteht eine langjährige und fundierte Erfahrung mit Wildbienen. Außerdem sind die Bienen eine wichtige Bestäubergruppe für zahlreiche landwirtschaftliche Nutzpflanzen, insbesondere für Sonderkulturen. Ein weiterer Vorteil ist ihr positives Image. Die sympathischen und faszinierenden Wildbienen eignen sich daher gut, die Öffentlichkeit für Ziele des Naturschutzes zu sensibilisieren.

Männchen der Hosenbiene Dasypoda hirtipes. Foto: Deutsche Wildtier Stiftung

Warum werden auch die Wespen miterfasst?

Die Wespen gehören wie die Wildbienen zu den Stechimmen. Sie eignen sich hervorragend, um in der Landschaftsplanung ergänzende Aussagen zu den Wildbienen zu treffen.

Wenn wir von Wespen sprechen, denken wir meist an die sozialen Faltenwespen. Hier sind besonders die Deutsche Wespe und die Gewöhnliche Wespe (Vespula germanica und Vespula vulgaris) als Kuchenräuber und Konkurrenten am Grill gut bekannt. Auch die Hornisse (Vespa crabro), Deutschlands größte Faltenwespe, kennen viele Menschen.

Neben den sozialen Faltenwespen gibt es die sehr viel artenreichere Gruppe der solitären Wespen. Viele dieser Arten tragen Schmetterlings-, Käfer- und Blattwespenlarven als Nahrung für ihren Nachwuchs ein. Sie besiedeln alle möglichen Lebensräume und nisten sowohl im Boden als auch oberirdisch. Manche Arten bauen sogar Mörtelnester. Sie leben sehr versteckt und treffen mit Menschen äußerst selten zusammen. Wie die Wildbienen sind sie vor allem auf offene und warme Lebensräume angewiesen und treten artenreich z. B. in Stadtbrachen auf. Zudem sind mehr Arten als bei den Bienen auf oberirdische Nistquellen (Totholz, Stängel) angewiesen. Damit ist eine deutliche, vergleichende Bewertung von Lebensräumen möglich.

Sandwespe Podalonia affinis. Foto: Deutsche Wildtier Stiftung

Wie läuft die Untersuchung ab?

Die Untersuchungsflächen werden jeweils zwischen April und August in regelmäßigen Abständen (fünf bis sechs Mal) untersucht. Die Flächen müssen so häufig begangen werden, da viele solitäre Wildbienen arttypische Flugzeiten von nur wenigen Wochen haben. Das heißt, dass wir im Frühjahr andere Arten vorfinden als im Spätsommer. Da Wildbienen nur an trockenen und warmen Tagen aktiv sind, müssen die Begehungen immer sehr kurzfristig geplant und durchgeführt werden.

Hauptwerkzeug der Biologen ist hierbei der Kescher, mit dem die Bienen gefangen werden. Zusätzlich werden Fallen wie die Malaisefalle (zeltartige Falle zum Erfassen von Fluginsekten) eingesetzt. Wildbienen, die nicht sicher während der Begehung auf Ebene der Art bestimmt werden können, werden der Natur entnommen, um sie im Labor unter dem Binokular (ähnlich einer Lupe) zu präparieren und zu bestimmen.

Da Wildbienen unter dem Schutz des Bundesnaturschutzgesetzes stehen, wurde uns für das Vorhaben von der Umweltbehörde Hamburg eine Ausnahmegenehmigung für den Fang ausgestellt. Das Abtöten und die Präparation der Tiere sind erforderlich, weil die Unterscheidungsmerkmale vieler Wildbienenarten nur bei hoher Vergrößerung erkennbar sind. Bei einer Reihe von Tieren müssen auch die männlichen Genitalien herauspräpariert werden, anhand derer die Arten dann erkannt werden können. Nur etwa 20 bis 30 Prozent aller Arten lassen sich direkt im Gelände bestimmen.

Wildbienenexperte Dr. Christian Schmid-Egger bei der Kartierung. Foto: Deutsche Wildtier Stiftung

Wie viele Wildbienenarten konnten bislang nachgewiesen werden?

Die Erfassungen der Deutschen Wildtier Stiftung schlossen zum Jahreswechsel 2019/2020 mit einem höchst erfreulichen Ergebnis ab. Bis dato konnten auf den Untersuchungsflächen 451 Stechimmenarten, darunter 236 Wildbienenarten und 215 Wespenarten, nachgewiesen werden.

Schon gewusst?

Zahl der Wildbienenarten in Deutschland steigt

Viele wärmeliebende Arten profitieren von den großen klimatischen Umwälzungen unserer Zeit. So wurden bis vor einigen Jahren noch 560 Wildbienenarten in Deutschland verzeichnet, doch wegen der Ausbreitung nach Norden ist mittlerweile von bundesweit über 600 Arten die Rede. Doch zugleich leiden viele Arten feuchter und kühler Biotope oder der Höhenlagen unter den Veränderungen und werden immer seltener.

Header & Footer: © S. Lokatis