Kein Platz für Rasen: Warum bei der Mahd weniger gleich mehr ist

Es besteht kein Zweifel daran, dass die zunehmende Verstädterung einer der vielen Gründe für den Rückgang von Insekten ist. Gleichermaßen haben urbane Grünflächen, wie beispielsweise Parks oder Gärten, ein großes Potential für den Erhalt der innerstädtischen biologischen Vielfalt. Die Schwierigkeit besteht nur darin, diese Grünflächen „wild“ genug zu halten. Der klassisch kurz gemähte „Englische Rasen“ ist als Lebensraum für die meisten Tiere schlichtweg ungeeignet.

Aus diesem Grund legt die Deutsche Wildtier Stiftung gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz seit 2018 wildbienenfreundliche Blühflächen in ganz Berlin an. Über 70 Flächen wurden hierfür ausgewählt auf denen speziell für Wildbienen entwickelte Saatgutmischungen angesät wurden. Aus dieser Initiative heraus sind zahlreiche weitere Kooperationen entstanden, durch die Nahrungs- und Nistmöglichkeiten für Bestäuber in der ganzen Stadt verbessert werden.

Dass dies auch mit relativ wenig Aufwand geschehen kann, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie von Anja Proske (Deutsche Wildtier Stiftung), Sophie Lokatis (Initiative Blühender Campus FU) und Jens Rolff (Freie Universität Berlin). In dieser Metaanalyse wurde untersucht, inwiefern sich eine reduzierte Mahdfrequenz städtischer Grünflächen auf die Individuenzahl und Artenvielfalt von Arthropoden, also Insekten und Spinnentieren, auswirkt. Neben den auf dem FU-Campusgelände gesammelten Daten wurden zahlreiche weitere Ergebnisse von Studien aus europäischen und nordamerikanischen Städten zusammengefasst, um Gesamteffekte zu ermitteln.

Das Ergebnis: Die Arthropoden profitieren von einer reduzierten Mahd. Vor allem fliegende Insekten, wie Bienen, Schmetterlinge und Käfer kamen auf seltener gemähten Flächen in signifikant höheren Individuen- und Artenzahlen vor. Darüber hinaus ergab die Analyse, dass intensiv gepflegte Grünflächen das Vorkommen von „unbeliebten“ Arten wie Zecken oder Stechmücken nicht verhindern. Im Gegenteil, hier wurden sogar überproportional viele Repräsentanten der Gruppe gefunden.

Wiesen haben gegenüber kurz geschorenen Rasenflächen eine Vielzahl weiterer Vorteile: Es muss weniger gegossen werden und Pestizide werden überflüssig. Hochgewachsene Pflanzen bieten nicht nur Insekten und Spinnen einen Lebensraum, sondern dienen auch als Rückzugsort für viele Wirbeltiere wie Feldhasen oder Füchse, die so in Städten neue Lebensräume finden. Und ganz nebenbei fällt die lästige Pflicht des ständigen Mähens weg.

  • Blütenmeer statt Golfrasen auf den Grünflächen der Freien Universität Berlin.

  • Wenn der Rasenmäher stehen bleibt, finden zahlreiche Tiergruppen Nist-, Nahrungs- und Rückzugsmöglicheiten.

  • Seit 2019 wird auf dem Campusgelände nur noch zweimal jährlich gemäht. Die Studie belegt: vorallem Fluginsekten pofitieren maßgeblich.

  • Wollbiene im Anflug! Hornklee (Lotus corniculatus) ist für viele Wildbienenarten eine wertvolle Pollenquelle.

  • Besonders seltene Arten wie die Östliche Zwergwollbiene (Pseudoanthidium nanum) profitieren von der Blütenvielfalt.

  • Die Ergebnisse aus 28 Studien, darunter auch Daten der Freien Universität, wurden in der Metaanalye ausgewertet. Hier kartiert Anja Proske die Arthropoden auf den Versuchsflächen des Dahlemer Campus.

Bildautorin: Sophie Lokatis / Blühender Campus FU

Eine Mahd bis zu zweimal pro Jahr ist dennoch ratsam. Wiesen brauchen diese gelegentlichen Störungen, da so mehr Licht an den Boden gelangen kann, was für den Wuchs und die neue Blütenbildung von Zielarten wie Hornklee, Flockenblumen oder Wiesen-Salbei wichtig ist. Ansonsten dominierende Allerweltsarten und holzige Pflanzen werden dadurch zurückgehalten, wodurch eine Verbuschung vermieden wird – Voraussetzung, um das artenreiche Ökosystem Wiese langfristig zu erhalten.

Diese Ergebnisse unterstützen den Ansatz, dass es in städtischen Grünflächen viel Potenzial für den Artenschutz gibt und auch mit weniger Aufwand viel geleistet werden kann. Das gelegentliche Stehenlassen des Rasenmähers ist jedoch bei Weitem nicht ausreichend, um die biologische Vielfalt in Städten zu erhalten. Auch die Art und Weise der Grünflächenpflege ist wichtig: Balkenmäher oder Sensen sind schonender als Rotations- oder gar Aufsitzmäher; außerdem hat nicht jede Grünfläche dasselbe Potential. Durch lokale Umweltfaktoren wie Boden, Lage oder „Geschichte“ der Fläche kann die sogenannte Spontanvegetation stark variieren. Auf manchen Flächen blühen natürlicherweise zahlreiche wertvolle Bestäuberpflanzen wie Natternkopf, Hornklee oder wilde Möhre, während andere Flächen ohne Mahd schlichtweg vergrasen. Hier kann man, wie bei dem Wildbienenprojekt der Deutschen Wildtier Stiftung, mit Bodenbearbeitung und Aussaat heimischer Wildblumen nachhelfen.

Den Link zur Studie finden Sie hier (kostenfreier Zugriff bis zum 21. Oktober 2022).

Mehr Infos zur Initiative Blühender Campus FU gibt es hier.

Mehr Infos zum Anlegen einer Wildblumenwiese gibt es hier.